Attac Factsheet: Regulatorische Kooperation TTIP

Mit der regulatorischen Kooperation droht auf verschiedene Art eine Machtumverteilung weg von den Parlamenten hin zu den Konzernen. Für den bisher eher informellen Einfluss von Lobbygruppen auf die europäische
Wirtschaftspolitik würden offizielle Verfahren geschaffen werden. Zudem sollen
Handelsinteressen systematisch Vorrang vor dem Allgemeinwohl erhalten.


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Faktenblatt: Regulatorische Kooperation

In dem Faktenblatt von Mehr Demokratie e.V. wird erläutert, was regulatorische Kooperation ist, was sie mit CETA und TTIP zu tun hat, warum sie eine Gefahr darstellt und was der aktuelle Stand zu dem Thema bei CETA und TTIP ist.

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CETA und TTIP im Vergleich: Factsheet zu regulatorischer Kooperation. Stopp CETA-Offensive - Lobbykratie verhindern

Eine institutionalisierte Lobbybremse

 

Das Wort „Lobbybremse“ kommt nicht von ungefähr. Regulatorische Kooperation im CETA-Abkommen ist war freiwillig und deutlich weniger bindend als bei TTIP, kann aber je nach Auslegung Regulierungen dennoch ausbremsen. Denn auch über CETA können Lobbyisten und die jeweils andere Regierung neue Gesetzesvorhaben kommentieren und auf Rückmeldung dazu pochen. Wir befürchten: Verbraucherschutzmaßnahmen könnten in der Schublade verschwinden, bevor sie irgendein Parlament gesehen hat. Das kommt einer Schwächung der Parlamente gleich.

 

NAFTA mahnt: Vage muss nicht vage bleiben

 

Gerade, dass bei regulatorischer Kooperation in CETA viel offen bleibt, betrachten wir mit Sorge. Denn auch NAFTA, das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, sah zunächst nur eine unverbindliche Form der Regulierungszusammenarbeit vor. Diese wurde jedoch Jahre 2011, also Jahre nach Vertragsabschluss, zwischen den USA und Kanada institutionell nachgerüstet.
Zur Erinnerung der Hinweis darauf, dass informelle regulatorische Kooperation zwischen den USA und der EU bereits in der Vergangenheit zu niedrigeren Verbraucher- und Umweltstandards geführt hat. Dies zeigt unsere Studie „Ein gefährliches regulatorisches Duett“ (pdf) von Anfang 2016.

 

Das Recht zu regulieren: Nicht ausgeschaltet, aber doch ausgehöhlt

 

Der Rechtsprofessor Markus Krajewski betont zu Recht in seiner aktuellen Stellungnahme zum CETA-Abkommen, dass regulatorische Kooperation im Abkommen freiwillig sei. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass durch gegenseitige Anerkennung von Produkten – also eine der Formen regulatorischer Kooperation – die „Regulierungsautonomie nicht unmittelbar, jedoch mittelbar eingeschränkt“ wird (S. 3): „Wenn nämlich die eigenen Standards geändert/verbessert werden, können diese ohne Zustimmung des Vertragspartners nicht mehr auf importierte Produkte angewandt werden.“ Eine Regulierungsbremse für Importprodukte entsteht hier also. Krajewskis Mahnung sollte man ernst nehmen, wenn man ein Handelsabkommen mit dem viertgrößten Produzenten von genmanipulierten Produkten abschließt.

 

Einseitigkeit des Lobbyeinflusses

 

Hinzu kommt: Internationale Verfahren und Institutionen – wie regulatorische Kooperation über Handelsabkommen – sind sehr anfällig für den Einfluss insbesondere durch international aufgestellte, finanzstarke Lobbyisten. Denn nur sie verfügen über die notwendigen Ressourcen, um solche Prozesse zu verfolgen. Dieses Phänomen lässt sich bereits in Brüssel bei den EU-Institutionen beobachten. Im Fall von internationalen Gremien spitzt es sich noch zu.

 

EU-Handelspolitik in der Legitimationskrise

 

Die EU-Handelspolitik befindet sich in einer Legitimationskrise. Denn Abkommen wie TTIP, CETA oder TiSA sind voller Gefahren für Demokratie, Umwelt und Soziales. Sie werden zudem weiter im Geheimen verhandelt. Die anhaltende Welle kritischen Protests in ganz Europa zeigt deutlich, dass große Teile der Bevölkerung, der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften sich das nicht mehr bieten lassen.

 

Stopp CETA und TTIP: Eine andere Handelspolitik ist überfällig

 

Wir lehnen die Abkommen aufgrund von demokratiegefährdenden Mechanismen wie der regulatorischen Kooperation ab. Es sind eben keine Abkommen, die den Anspruch erfüllen, damit Globalisierung gestalten zu können. Es sind vielmehr Abkommen, die der Politik Gestaltungsspielräume nehmen und damit entdemokratisierend wirken.

 

Statt regulatorischer Kooperation in TTIP und CETA brauchen wir einen besseren Informationsaustausch zwischen den Regulierungsbehörden dies- und jenseits des Atlantiks – damit so etwas wie der VW-Skandal nicht erneut passiert. Der regulatorische Austausch muss der Kontrolle des Europäischen Parlaments und der jeweils zuständigen Ausschüsse unterliegen. Das Ob und Wie einer Veränderung regulatorischer Standards muss Gegenstand demokratischer Debatte und parlamentarischer Entscheidung bleiben. Wenn die SPD wirklich Globalisierung gestalten will, dann sollte sie die Proteste von Bürgerinnen und Bürgern ernst nehmen und am Dienstag beim Parteikonvent eine Kehrtwende machen und CETA ablehnen.

 

Weitere Infos:

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben mehr als 40 zivilgesellschaftliche Organisationen aus ganz Europa heute die neue EU-Verhandlungsposition zu regulatorischer Zusammenarbeit bei TTIP kritisiert. Die geleakte Verhandlungsposition veröffentlichten wir bereits am Montag und kritisierten sie scharf, da sie den Einfluss der Unternehmenslobby auf die Gesetzgebung weiter stärkt und Regulierungen im öffentlichen Interesse erschwert. Wir brauchen endlich eine andere Handelspolitik, die Demokratie stärkt und höhere Standards etwa beim Umwelt- oder Verbraucherschutz weiterhin möglich macht.

Das Bild zeigt das Logo der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA, die LobbyControl unterstützt.

Logo der von LobbyControl unterstützten Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA.

 

 

Die Kernkritikpunkte im Überblick

In unserer zivilgesellschaftlichen Stellungnahme kritisieren wir fünf Punkte der neuen Position der EU-Kommission:

1. Die US-Regulierungsbehörden bekommen zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss auf die EU-Gesetzgebung. Lange vor dem EU-Parlament erhalten sie Einsicht in Gesetzesentwürfe. Umgekehrt gilt dies auch für die EU-Kommission in den USA. Das schadet der Demokratie auf beiden Seiten des Atlantiks.

2. Der Einfluss von Unternehmenslobbyisten wird auf surreale Weise institutionalisiert. Transatlantische Unternehmensverbände können ihre Vorschläge zu Gesetzesinitiativen durch neue Mechanismen frühzeitig einbringen. Die Einsetzung eines Beirats mit Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen kann diese Institutionalisierung von Lobbying nicht ausgleichen.

3. Der neue Vorschlag benennt explizit die Institutionen, die künftig für regulatorische Zusammenarbeit zuständig sein sollen: Die EU-Kommisson und US-Regulierungsbehörden. Die genaue Arbeitsweise bleibt aber unklar. Die Klärung dieses wichtigen Punkts wird damit verschoben auf die Zeit nach der Ratifizierung des TTIP-Abkommmens. Das bedeutet weniger öffentliche Aufmerksamkeit für dieses brisante Thema. Wir sehen also keine wirkliche Verbesserung durch den neuen Vorschlag, trotz der Tatsache, dass das umstrittene Gremium für regulatorische Zusammenarbeit nicht mehr vorkommt. Im Gegenteil: Die EU-Kommission stärkt damit den US-amerikanischen Einfluss auf die EU-Gesetzgebung. Die Rolle des Europäischen Parlaments wird geschwächt.

4. Regulierungsbehörden (im Fall der EU: die Kommission) erhalten einen großen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der künftigen Handhabung von regulatorischer Zusammenarbeit. Darunter fällt auch die Auswahl der Bereiche, in denen künftig enger zusammengearbeitet werden soll.

5. Der neue Vorschlag beinhaltet eine Übernahme von Elementen des US-amerikanischen Regulierungssystems, darunter eine bedeutsame Rolle für Folgenabschätzungen („impact assessment“) bei der Gesetzgebung. Dies könnte Kosten-Nutzen-Kalkulationen bei der Bewertung von Gesetzesinitiativen in den Vordergrund rücken und in der Folge Verbraucher- und Umweltschutz verwässern oder verzögern.

Gefahr für die Demokratie

Die von der EU-Kommission vorangetriebene regulatorische Zusammenarbeit bei TTIP gefährdet weiter die Demokratie und die Gesetzgebung im öffentlichen Interessse. Die privilegierte Rolle von Konzernlobbyisten und US-Behörden schwächt das demokratisch legitimierte EU-Parlament und schließt die Öffentlichkeit von wichtigen Entscheidungen aus. Ein derart konzipierter transatlantischer Harmonisierungsprozess kann nicht gut für Bürgerinnen und Bürger sein.

Max Bank, Lobby Control

Weitere Infos:

Regulatorische Zusammenarbeit ermöglicht Konzernen den Angriff auf Demokratie und Gemeinwohl

Die sogenannte regulatorische Zusammenarbeit im Rahmen des geplanten US-EU-Handelsabkommen TTIP soll Gesetze auf beiden Seiten des Atlantiks miteinander in Übereinstimmung bringen. Dies hat Kritik hervorgerufen, derzufolge das Abkommen Angriffe auf Umweltschutz, Arbeitsschutz und Gesetze zum Schutz der Gesundheit und Nahrungsmittelsicherheit führen wird, um nur einige bedrohte Bereiche zu nennen. Unsere gemeinsame neue Studie mit Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) zeigt, dass Verfahren der regulatorischen Zusammenarbeit bereits in der Vergangenheit genutzt wurden, um Rechtsetzung im öffentlichen Interesse zu verzögern, zu verwässern und ganz zu verhindern. Damit bestätigt unsere Studie die Einwände der TTIP-Kritiker.

Beispiele belegen Gefahr, die von regulatorischer Zusammenarbeit ausgehen

In unserer Studie betrachten wir die Ursprünge und Auswirkungen der TTIP-Vorschläge für “regulatorische Zusammenarbeit” und zeigen, dass der gesamte Prozess von Anbeginn von der Konzernlobby dominiert wurde. In der Studie herausgestellte Beispiele sind die Verwässerung des EU-Vorhabens zur Regulierung von giftigem Elektroschrott, der Mangel an Aufsicht über den Versicherungsriesen AIG im Vorfeld der Finanzkrise 2008, der US-Unternehmen mit dem Safe-Harbor-Abkommen ausgestellte Freifahrtschein, der ihnen die Umgehung von Datenschutzbestimmungen ermöglichte, und die Verzögerungen und Abschwächungen von Regulierungsvorhaben bei Tierversuchen, klimaschädlichen Substanzen und Luftfahrtemissionen.

TTIP-Verhandlungen sind Ausdruck transatlantischer Konzernagenda

Die TTIP-Verhandlungen begannen offiziell 2013, doch Vorbereitungen für das Abkommen liefen bereits über mehrere Jahrzehnte, größtenteils im Verborgenen und mit privilegiertem Zugang für Vertreter von Großunternehmen. Sie decken ein weites Spektrum von Politikbereichen ab, von Chemikalienrichtlinien über Arbeitsmarktpolitik und Datenschutz bis hin zur Landwirtschaft, und stehen deshalb im Zentrum aktueller Lobby-Bemühungen in Brüssel.

Dabei spielt der sogenannte Transatlantic Business Dialogue (TABD) eine besonders fragwürdige Rolle. Die 1995 auf Initiative des US-Handelsministeriums (USTR) und der EU-Kommission ins Leben gerufene Lobbyplattform bringt Manager transnationaler Unternehmen mit US- und EU-Handelsbürokraten zusammen und kann als zentraler Akteur für die Vorbereitung der TTIP-Verhandlungen gelten.

TTIP würde regulatorische Kooperation festschreiben

Zentral für transnationale Unternehmen war und ist die Verankerung von Harmonisierungsprozessen im TTIP-Abkommen zur Schaffung eines transatlantischen Marktes ohne Handelsbarrieren. Die von der EU-Kommission bevorzugte Herangehensweise zur Harmonisierung von Standards ist dabei genau die Art “regulatorischer Zusammenarbeit”, die bereits zur Absenkung von Standards geführt hat. Sie zielt darauf, bestehende “regulatorische Handelsbarrieren” (d. h. Unterschiede bei der Regulierung) abzubauen und neue Maßnahmen zu verhindern. Regulierung im öffentlichen Interesse würde demzufolge langwierige, zwangsweise vorgeschriebene Prozeduren durchlaufen müssen, in denen Unternehmen das Recht hätten, Maßnahmen im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf den Handel zu überprüfen.

Hoffnung liegt auf kritischen Parlamenten und Bürger/innen

TTIP soll die regulatorische Zusammenarbeit endgültig institutionell verankern. Unternehmenslobbyisten würden damit Mitverfasser von Gesetzen, die Rechte von Parlamenten und Bürger/innen beschnitten. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Demokratie auf diese Weise noch weiter ausgehöhlt wird. Unsere Hoffnung liegt dabei auf einer kritischen Haltung des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten. Und vor allem auf der Kritik von Bürgerinnen und Bürgern. Gemeinsam bleiben wir wachsam und werden den Ausverkauf der Demokratie verhindern.

Ein Artikel von Max Bank:

Campaigner im EU-Bereich. @max_bank

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